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Rahmenprogramm mit Vorlesungen, Filmvorführungen und Diskussionen, eigens kuratiert von Dimitrina Sevova
20. Oktober - 2. Dezember 2007
in der Kunsthalle Winterthur, Winterthur
Die folgenden Künstlerinnen und Künstler nehmen am Projekt Aggression teil: Marc Bijl, Stefan Burger, The Centre of Attention, Brice Dellsperger, Tom Ellis, Joep van Liefland, Alex McQuilkin, Laura Parnes, SIS.TM, Sündikat, Alejandro Vidal.
Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Rahmenprogramm von Aggression: Marina Gržinić (Künstlerin und Theoretikerin, Ljubljana), Alexis Hunter (Künstlerin, London), Rolando Colla und Elena Pedrazzoli (Peacock Film, Zürich), bankleer (Karin Kasböck und Christoph Leitner, Berlin), Maude Swift (Filmerin und Philosophin, London); hinzu kommen Filmvorführungen von den folgenden Autorinnen und Autoren: Marina Gržinić und Aina Šmid, Davide Tosco, Rolando Colla, Olivier Meyrou, bankleer, Maude Swift, Hans Scheirl.
Kurze Einführung
Vatermord und Jugendkultur
Wir sind alle bemüht, eine verdrängte Erinnerung zu vergessen, einen traumatischen Impuls, ein Ereignis, das in unserem Bewusstsein fehlt: Freud nennt es den Vatermord. Dieser Mord ist nicht nur die Grundlage für soziale Beziehungen, sondern für die Struktur der Gesellschaft schlechthin, bis hin zu Moral und Religion. Ein Erb-Meta-Mord, der hinter jedem Mord steht. Etwas Kriminelles lauert in unserer Vergangenheit. Etwas Dunkles. Freud sieht in diesem Mord keine Einbildung, vielmehr eine reale Tatsache, begraben in unserem kollektiven Gedächtnis. Eine dunkle Erinnerung an sehr reale Morde, sehr zahlreiche Morde, an Akte, die die Hierarchie der Sippe aufgebrochen und dem Sozialvertrag den Weg geebnet haben – die Verschwörung der frustrierten Söhne gegen das Gesetz der Väter. Wir sind alle auf unsere je eigene Weise beteiligt an diesem totalen Mord, der in den dunklen Tiefen lauert und Anlass gibt zu verstörenden Fantasien, derweil wir gegen unsere eigene Melancholie ankämpfen oder nach einer Rechtfertigung für unser schlechtes Gewissen suchen. Die Sprache wird von den Söhnen ins Leben gerufen, um ihre sozialen Beziehungen zu regeln in der neuen Ökonomie des Austauschs ihrer Schwestern und Töchter unter den Sippen. Die erste Ware, der Ursprung von Privatbesitz, in Vorwegnahme der Sklaverei. Ungleichheit und Unterdrückung sind selbst Sprache, der Struktur von Sprache inhärent, funktionaler Teil unserer Körper. Die Narrative der Macht stellen die patriarchale Ordnung her.
Die Surrealisten haben den Surrealismus als Weg definiert, eine unbekannte Realität zu entdecken und erkunden. Eine Realität, die eine wesentliche Rolle im Leben und Verhalten der Menschen spielt, ohne dass sie unbedingt davon wüssten. Sie führten eine sprachliche Revolution durch, in welcher der Surrealismus einer grösseren Operation gegen die Sprache entspringt mit dem Ziel, die Geheimnisse einer Sprache zu entdecken, die nicht geprägt wäre von den Zeichen der Repression. Sie waren Aggressoren gegen alle sprachlichen Normen und Regeln. Einer von ihnen, der grosse melancholische Dandy René Crevel, wurde 1935 im Gas erstickt aufgefunden. Ein Stück Papier fand sich an sein Revers geheftet, mit einem einzigen Wort darauf: „Angewidert.“
Du zeigst Reue, weil du deinen Vater umgebracht, ohne auch nur
hundert Jahre Erinnerung erlangt zu haben
Immer die Nervenschwäche wie Blumen aus Brotkrume.
Versuch’s doch mit Backgammon.
Die Würfel springen.
Mann oder Frau?
Hund oder Katze?
Aber es wird den Hund geben, der trotzdem eine Katze ist.
René Crevel, Détours (1924)
Medea ist die subversive Figur mit Schockwert, die das Patriarchat erschüttert: die Fremde, die Massenmörderin ihres Vaters, Bruders, Ehemannes und Zwillingssöhne, die Irrationale, das Monster, die Wilde, die Hysterische, die Hexe, die Vertriebene, die Horrorfigur der männlichen Kastrationsangst. Eine keineswegs nur weibliche Figur – sie trägt auch männliche Züge –, die es bis ins Horrorgenre und subkulturelle Bewegungen mit Wurzeln in der Untergrundkultur, in Rock, Punk und Pop geschafft hat. Sie ist der schwarze Engel des Modernismus, den Tiefen der zeitgenössischen Trashkultur entsprungen. Sie ist der Mörder des Horrorfilms mit dem Blut triefenden Messer, die Cybergöttin des transgressiven virtuellen Raums, die starke Frau des Comics, des Zeichentrickfilms und des kommerziellen Kinos, die Figur mit dem Potential, Sprache zu erkunden und das Patriarchat zu kompromittieren. Ein Trans-Glücksgefühl, gestohlen aus den Ritzen der zeitgenössischen Gesellschaft. Sie ist die Diva der Rock- und Popmusik, Trägerin des Verlangens nach der Zerstörung des Gesellschaftsvertrags.
Die Energie von Kunst mit dem Alltag vereinend, Tabus brechend, probte die Jugend-Gegenkultur in einer dionysischen Euphorie die Zerstörung gesellschaftlicher Codes und deren Übertragung in Tanz, in dem Frustrationen in der Performance festgeschriebener Rollen ausgespielt werden. Mit ihrem totalen Ungehorsam und radikalen Absage an familiäre Werte und soziale Normen war es ihr ein Leichtes, den Massengeschmack zu schockieren. Eine zeitgenössische poetische Form, in der Jim Morrison den Vatermord und die inzestuöse Liebe zur Mutter aufleben lässt, im Sinne eines Vandalismus auf der Grundlage des Ödipuskomplexes mit dem Ziel, alles Hierarchische und Kontrollierte zu zerstören, bis hin zur symbolischen Ordnung der Sprache:
The killer awoke before dawn, he put his boots on
He took a face from the ancient gallery
And he walked on down the hall
He went into the room where his sister lived, and… then he
Paid a visit to his brother, and then he
He walked on down the hall, and
And he came to a door… and he looked inside
Father, yes son, I want to kill you
Mother… I want to… fuck you
(‘The End’ by The Doors, 1967)